Wertlose Kunst

Erst wenn das letzte Werk unbemerkt, die letzte Bühne geschlossen, der letzte Künstler brotlos ist, werdet ihr merken, dass Kunst keine Ware war.

In meinem Leben als Künstler habe ich einen Satz bis zum Erbrechen gehört: Kannst Du nicht Deine Kunst kostenlos bei mir/uns in der Kneipe, im Büro, im wasweißich ausstellen? Das ist ja gute Werbung für Dich und wer weiß, vielleicht kauft ja auch jemand etwas?

Leute, das ist zwar verständlich, dass man sich mit kostenloser Kunst gern schmücken mag, aber Blödsinn! Warum? Ganz einfach: weil das die Kunst entwertet. Ja, aber müssen Künstler nicht ausstellen? Ja, ich muss auch essen, was aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass ich im Supermarkt kostenlos arbeite, um Lebensmittelreste mit nach Hause nehmen zu dürfen.

Und ja, Du kannst Deine Kunst gern überall ausstellen, ich will Dir da keine Vorschriften machen. Du hast das Recht, andere mit Deiner Kunst in Kneipen, Büros und Orten allerley Art zu erfreuen und darauf zu hoffen, auch etwas zu verkaufen. Das kann man machen. Wie wertvoll Deine Kunst dann ist, bleibt zu überprüfen.

Und nochmals ja, es ist immer ein Dilemma, seine Kunst auch verkaufen zu wollen, aber nicht mal das Geld zu haben, eine Örtlichkeit per Miete zu finanzieren, um dort auszustellen. Und wer weiß, vielleicht wirst Du entdeckt und strafst meine Worte Lügen? Kann sein. In der Regel jedoch kommt diese Art der Präsentation wertloser Kunst ausschließlich denen zugute, die Dir das Konzept der guten Werbung für ihren Gewinn und Deinen Verlust verkaufen. Du musst Deine Werke ohnehin selbst finanzieren. Wirtschaftlich gesehen ist das alles nicht nur ein Nullsummenspiel, sondern ein herber Verlust, der allein durch die Hoffnung, in die Kneipe, in das Büro oder wasweißichwohin kommt plötzlich ein guter Onkel aus Amerika, der so von Deiner Kunst begeistert ist, dass Du innerhalb kurzer Zeit berühmt und berüchtigt wirst und Geld ohne Ende schaufelst. Kann sein. In Anbetracht der Tatsache, dass die wenigsten lebenden Künstler berühmt und finanziell erfolgreich sind, was interessanterweise zum Irrtum führt, sie wären bessere Künstler als Du, kannst Du Deine noch erwartbare Lebenszeit gern mit für andere kostenlosen Ausstellungen, mit kostenlosen Bildern für Spendengalas, gute Zwecke en gros oder Ähnlichem verbringen. Du darfst das … wirklich.

Dazu einfach die Frage: Wenn das wirklich funktionieren würde in dem Sinne, dass die so ausgebeuteten Künstler deshalb auch erfolgreich im Sinne von »damit kann ich mein Leben finanzieren« wären, dann wäre es doch so, oder? Ist es so? Nein. Es heißt ja nicht ohne Grund auch »Brotlose Kunst«. Allein dieser Begriff oder seine unbedachte Verwendung zeigt doch, wo die Kunst steht: gar nicht, sie liegt am Boden. Das hat eben auch viel mit der ausgebeuteten Hoffnung von Künstlern zu tun, die an das Märchen der Eigenwerbung glauben.

Die Marginalisierung der Kunst als wertvoll für andere, aber wertstiftend von Künstlern, hat dieselbe Weltanschauung zur Grundlage, wie die Würde des Menschen im Einklang mit dessen Ausbeutung bei gleichzeitiger Abrede jeder Möglichkeit zur Einflussnahme durch die Marginalisierten.

Das Dilemma zwischen Kunst und Kommerz kann ich nicht lösen und habe auch keine Lösung parat. Meine Zwischenlösung ist: wenn ich Kunst an einem Ort ausstellen soll, dessen Eigentümer, Mieter oder sonstwer nichts dafür bezahlt, dann möchte ich zumindest darauf zurückgreifen, dass dieser jemand mit seinem Netzwerk Leute einlädt, bei denen eine zumindest hohe Chance besteht, dass sie meine Kunst auch kaufen, sofern sie ihnen gefällt. Aber einfach irgendwo irgendetwas hinhängen oder ausstellen und auf Godot warten, das habe ich mir abgewöhnt. Es ist einfach zwecklos und entwertet meine Kunst.

Es mag sein, dass Du oder andere für Beifall arbeiten und dafür viel Lebenszeit und Geld investieren. Das ist, wie bereits angemerkt, Dein und anderer gutes Recht.

Ich jedoch habe mir dagegen zum Beispiel angewöhnt, dass Künstler, die ich ausstelle, zumindest ein einigermaßen gutes Handgeld erwarten dürfen, welches ich von Sponsoren einwerbe, um so ein wenn auch nur vielleicht kleines Zeichen zu setzen, dass Kunst eben nicht wertlos ist.

Manche Menschen werden Polizisten, weil sie die Welt zu einem besseren Ort machen wollen. Manche Menschen werden Künstler, damit die Welt besser aussieht.