Hohe Herrenschneiderei bei Ralph Schlitter in Landau

»Ich habe nur das eine Leben. Und da muss man seine Träume verwirklichen«
Ralph Schlitter

Im Gegensatz zum berühmten Pfälzer Wein ist das beschauliche Landau nicht gerade berühmt für seine Kunst, aus gewebten Fäden Kunstwerke für werdende oder gestandene Männer entstehen zu lassen. Irgendwie hat es die Zunft der Schneider nicht geschafft, aus Landau ein zweites Rom oder gar Paris werden und die hohe Herrenschneiderei hoch leben zu lassen, obwohl gerade das Französische einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Leben in Landau hatte und hat.

Und sind wir mal ehrlich: Die Männermode in Landau könnte noch den einen oder anderen Feinschliff und etwas mehr Ideenreichtum vertragen. So erfinderisch man hier ist mit Weinen, Sorten und deren Namen, so etwas altbacken scheinen die Ansprüche an die Kleidung für Männer zu sein. Man gibt sich zwar gern sportiv und auch lässig, vor allem, wenn man mit sündhaft teuren Mountainbikes, vornehmlich elektrisch, in den Weinbergen oder der Innenstadt unterwegs ist, aber ein wenig mehr Noblesse bei Männermode könnte unsere kleine Weinweltstadt Landau durchaus vertragen. Und das vertrüge sich durchaus mit den wirklich guten Weinen der ansässigen Winzer.

Ja, es gibt auch hier einige kleine Änderungsschneidereien, in denen man Hosen kürzen und weiten sowie allerlei Unpassendes einigermaßen passend machen lassen kann. Und ja, es gibt auch hier, gleich hier um die Ecke, eine sehr beachtenswerte Schneiderei für Damenmode. Aber wie immer kommen beim Thema Mode die Herren viel zu kurz. Vielleicht liegt es am Irrtum, Männer ab einem gewissen Alter seien ohnehin die schönsten Menschen im Lande und bräuchten von daher keine coolen und obendrein sehr individuellen Körperbedeckungen mit nicht nur einem Schuss Extravaganz … natürlich von Könnerhand? Ich weiß es nicht und man verzeihe mir bitte den kleinen, aber wohl kalkulierten Anflug von Sarkasmus. Er soll, wie eine gute Brille, den Blick für das Wesentliche und vor allem für Details schärfen.

Eine Stunde im Hause Ralph Schlitter, bei Hemd & Weste in Landau, sollte jenen Irrtum schnell beheben und bei dem einen oder anderen Herren den Mut hervorbringen, sich ein außergewöhnliches Hemd und vielleicht auch gleich eine passende Weste anfertigen zu lassen. Mit Schneidern ist es ein wenig wie mit Schuhmachern: Jeder braucht sie, aber in Zeiten der diktierten Massenmoden scheint es einfacher zu sein, in irgendein Bekleidungsgeschäft einer in jeder Stadt vertretenen Modekette zu gehen, um dort oft auch ziemlich teure Tuche mit den von wem auch immer so deklarierten Farben der Saison zu kaufen, deren Gewebe und Schnitt man jedoch unter Garantie an dem einen oder anderen Leib wieder begegnet. Und spätestens ab dann weiß man, dass Individualität nicht bedeutet, einer Gruppe anzugehören, welche im Grunde die gleichen Uniformen trägt. Das mag den einen oder anderen modebewussten Mann schmerzen, ist aber so.

Liebe Männer, habt den Mut, euch wirklich individuell zu kleiden. Das ist überhaupt nicht schwer und kostet unterm Strich wahrscheinlich nicht wirklich mehr als viele Klamotten, die am Ende in der Kleidersammlung landen. Es hat einfach etwas, etwas zu haben, was nicht jeder hat … oder eigentlich gar keiner, weil eben das, was man hat, einem direkt auf den Leib geschnitten worden ist, zum Beispiel von Ralph Schlitter, dem Schneider für Hemd & Weste in der Marktstraße 42 in Landau.

Individuelle Maßschneiderei ist durchaus vergleichbar mit Kunst, weil es einfach einen enormen Unterschied macht, ob man ein Hemd von einer Stange mit gleichen Hemden kauft, oder ob man ein Einzelstück in Auftrag gibt, die Stoffe und Farben mit aussucht, die Anproben durchläuft, die eine oder andere Änderung über sich und das neue Kunstwerk ergehen lässt, um am Ende dieses ganzen äußerst kreativen Prozesses eben ein Einzelstück am Leib zu tragen, welche es so nicht mehr gibt … nirgendwo. Und vielleicht stellt man am Ende des ganzen Prozess fest, dass man sich selbst und seine Einstellung zum Leben ein wenig verändert hat.

Wer auf Einzel- und Maßanfertigungen steht, wird hier sicher fündig. Es muss ja nicht immer gleich ein Ferrari als Einzelstück in der extra dafür gebauten Jugendstilhalle gleich neben der Sammlung von Bentleys sein. Hemd & Weste von Ralph Schlitter für einen neuen Anfang in Sachen Sachen absolut geeigent und haben dazu den unschätzbaren Vorteil, dass sie wirklich bezahlbare Einzelstücke sind und weder Benzin noch Strom brauchen … nur einen kleinen Platz im Kleiderschrank und einen selbstbewussten Mann, der sie gern zur Schau trägt, statt in die Altkleidersammlung. Und zur Schau kann man das, was einem dort direkt auf den Leib geschnitten wird, definitiv tragen. Sonderwünsche sind hier die Regel.

Im Gespräch mit Ralph Schlitter erfahre ich, warum und wie er überhaupt zur Herrenschneiderei kam. Keine filmreife Karriere als junger Wilder, der von den Größen der Zunft entdeckt wurde und fortan bejubelt seinem Weg auf den Laufstegen der Welt folgte. Sein Weg vom Meister der Fotografie hin zum ebenfalls genau Maß nehmenden Schneider in Landau war nun wirklich kein gewöhnlicher, und so plauderte Ralph Schlitter aus dem Nähkästchen seines Lebens:

Ralph Schlitter wurde bereits in einen eingesessenen Schneiderhaushalt hineingeboren: Die Mutter Schneidermeisterin, der Bruder Schneidermeister, gelernt beim Großvater in dessen Schneiderei. Ursprünglich wollte die Mutter Schauspielerin werden: »Du musst erst einen gescheiten Beruf lernen«, sagte der Großvater zu seiner Tochter. Ralph wollte jedoch Fotograf werden. Was sagte die Mutter? »Du musst erst einen gescheiten Beruf lernen« … Ralph begann in einer Bank zu arbeiten und erschien eines Tages im Anzug zu Hause. Das überzeugte seine Mutter, dass er lieber Fotograf werden solle. Die Schneiderei jedoch blieb immer im Hinterkopf, falls er irgendwann aufhören sollte mit der Fotografie. Und so bestand Ralph Schlitter im Jahre 1985 seine Meisterprüfung als Fotograf und eröffnete also vor fast vierzig Jahren in exakt demselben Laden in der Marktstraße 42 in Landau sein Fotostudio, welches er bis heute betreibt. Aus diesem Ladenlokal zog er aus beruflichen Gründen weg und zog 2021 wieder ein. Und wieder als Fotograf und zusätzlich als Schneider für Herrenhemden und -westen.

Ende 2019 überfiel das Corona-Virus die Welt und änderte die Lebensläufe vieler Menschen. Geschäfte gingen den Bach herunter und Ralph Schlitter orientierte sich um und bewarb sich bei diversen Schneidern im Umkreis. Das Fazit: Keiner stellte ihn ein für eine Schneiderlehre. Die Vermutung: das Alter. Immerhin war Ralph zu diesem Zeitpunkt über sechzig. Erfahren, aber in unserer Gesellschaft gilt man schnell bereits ab fünfzig zu alt für vieles … außer zum Geldausgeben. Man würde schon gern die viel zitierte Leistungsgesellschaft mit Lernen bis ans Lebensende sein, aber Leistung bei älteren Menschen zählt dennoch nicht mehr.

Und so nahm Ralph Schlitter die Sache selbst in die Hand, erschien in der Düsseldorfer Nähschule und sagte:

»Bringt mir jetzt bei, wie man Hemden und Westen näht.

Und dann pendelte Ralph zwischen Landau und Düsseldorf und lernte dort die Hemden- und Westenschneiderei. Und selbstverständlich auf eigene Kosten. Dann eröffnete er in seinem Fotostudio in der Marktstraße 42 in Landau 2021 seine Hemden- und Westenschneiderei. Auf der Suche nach Fachkräften fand Heidrun Huber (»Halli, hallo!«, ruft es aus dem Off der ratternden Nähmaschine) ihren Weg zu Ralph Schlitter. Heidrun arbeitete vorher fünfunddreißig Jahre in einer Hemdenfabrik in Lustadt. Und was soll ich sagen? Die beiden sind ein vorzügliches und angenehmes Gespann und es wird viel gelacht. Die Jahrzehnte der Berufserfahrung von Heidrun sind ein unschätzbarer Wert für Ralph und er erzählt, dass sie ihn auch manchmal bremsen muss in seiner Kreativität, wenn es bei der praktischen Umsetzung eng wird.

Worauf Ralph Schlitter großen Wert legt, ist Nachhaltigkeit. Und klar, er weiß, dass Nachhaltigkeit in den Zeiten den offenkundigen Klimawandels und seiner Folgen auch bedeutet, dass der Kauf billiger Hemden aus Bangladesh oder eben anderer Massenware erheblich zu diesen Klimafolgen beiträgt. Und er weiß auch, dass es einen Prozess des Umdenkens braucht, denn man kauft immer noch lieber scheinbar billig, wenn man die unmittelbaren Folgen scheinbar nicht selbst bezahlen muss. Doch Ralph hofft, mit seiner Arbeit als Schneider zu einem Wandel beitragen zu können: »Und dass wir uns vor Ort hergestellte Produkte nicht leisten könnten, zählt auch nicht, denn: was wir mit unserer Umwelt machen, können wir uns erst recht nicht leisten.« Es versteht sich von selbst, dass diese Anforderungen an die Nachhaltigkeit auch die internationalen Zulieferer von Stoffen & Co umfasst.

Wie entstehen eigentlich Hemd & Weste?

Die Schnitte als Grundlage jeder Arbeit und jedes einzelnen Produkts werden nach den Maßen des Kunden individuell hergestellt. Dann erklärt mir Ralph an einer aktuellen Arbeit, wie er die Schnitte konstruiert. Mich erinnert das alles sehr an die Konstruktion von Gebäuden; am Ende müssen alle Einzelteile zusammenpassen und alles muss stimmen, sonst sitzen Hemd und Weste schief und krumm. Und jeder Schnitt wird, wie der Leisten beim Schuster, aufgehoben, um bei weiteren Bestellungen die Maße parat zu haben und vergleichen zu können.

Handwerk soll wieder goldenen Boden haben, ist Ralph überzeugt und verweist auf seinen Großvater: »Wenn Du etwas anfertigen lässt, gehst Du mit Deinen Sachen auch achtsamer um.«

Und ja, die Produkte aus dem Hause Schlitter sind keine Billigware und das ist auch gut so. Und ja, man kann in einen Klamottendiscounter gehen und schnell mal etwas kaufen, über dessen Nachhaltigkeit man sich keine Gedanken macht. Man kann aber auch das ganze Erlebnis des Maßnehmens, der verschiedenen Anproben, des Entstehens des Hemdes oder der Weste nachverfolgen und miterleben. Woanders bezahlt man für jedes Entertainment für Massen, welches meist keinen Bezug zum Produkt hat, sondern einfach ablenken und zum gedankenlosen Kauf animieren soll.

Bei Hemd & Weste gehört das Erlebnis zum Produkt. Es macht einfach einen gewaltigen Unterschied, ob im Kleiderschrank ein von den Händen von Heidrun und Ralph nach Maß und mit viel Liebe zum Detail und zum Produkt gefertigtes Hemd – vielleicht mit dazugehöriger Weste – und dazu mit einer ganzen und schönen Geschichte hängt, oder eben nicht.

»Und gelernt habe ich das alles mit dreiundsechzig Jahren«, sagt Ralph: »Und da kann keiner kommen und sagen, ich sei zu alt dafür. Wenn man das will, kann man das alles machen.«

Ralph Schlitter plant im Übrigen, vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit und weil er Interesse für das Handwerk wecken will, interessierten Leuten zu zeigen, was alles hinter Hemd & Weste steckt, was die Grundlagen eines Schnittes sind, wie Einzelteile hergestellt werden und wie das Endprodukt überhaupt entsteht. Die Planungen dazu gehen derzeit in die Entscheidungsphase. Es dürfte noch spannend werden im Hause Ralph Schlitter, bei Hemd & Weste in Landau in der Pfalz.